Was Hochsensible und Autisten verbindet

Was Hochsensible und Autisten verbindet

Unterschied zwischen Hochsensiblen und Autisten.

Im Alltag aber auch in der Klinik sind Hochsensible und hochfunktionale Autisten oft nicht zu unterscheiden. Auch Experten tun sich meist schwer. Doch woran liegt das eigentlich und gibt es eine klare Abgrenzung?

 

Nick ist 15 Jahre alt (Name geändert) und kommt wegen ständiger Kopfschmerzen und Erschöpfungszuständen in meine Praxis. Seine Eltern halten sich größtenteils raus und schicken ihn zu mir.

Nick ist extrem höflich und gebildet. Dies fällt gleich auf. „Entschuldigen Sie“ „Es tut mir leid, wenn ich Umstände bereite“ „Vielen lieben Dank“ und eine Flut von „Bitte“ und „Danke“ prägen unser Gespräch. Er beschreibt seine vielen Wahrnehmungen und die Tatsache, dass ihn Lautstärke und andere Reize sehr schnell stressen. Außerdem scheint er seine Mitmenschen sehr genau zu beobachten und macht sich viele Gedanken über ihre Verhaltensweisen. Er denkt ständig darüber nach wie er sich bei wem verhalten muss, um die Harmonie zu wahren. Sein Gerechtigkeitssinn ist sehr stark und er leidet unter Disharmonie und Ungerechtigkeit. Seine Wortwahl und Ansichten entsprechen dem eines Erwachsenen. Klassisch hochsensibel, eventuell auch hochbegabt ist mein erster Eindruck.

Auf die Frage, was er sich wünsche, wird er aber plötzlich still und schaut zu Boden. Das Blut schießt ihm ins Gesicht und die Anspannung ist an seinem ganzen Körper deutlich. Einige Minuten bringt er kein Wort heraus. Dann sagt er leise und unsicher: „Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Es tut mir leid, dass ich diese Frage nicht ehrlich beantworten kann.“

„Ist schon in Ordnung“, sage ich. „Wusstest du es denn mal?“

Immer noch schaut er zu Boden und scheint vor Anspannung sogar zu zittern. Dann fragt er, was ich seinen Eltern erzählen würde. Wir klären die Schweigepflicht. Nach einigem Zögern berichtet er:“ Ich glaube ich wusste es mal, aber ich erzähle so vielen Menschen so viele unterschiedliche Dinge, dass ich vergessen habe was meine eigene Meinung ist, oder ob ich überhaupt noch eine habe.“

Da kommt mir der Gedanke an Masking im Autismusspektrum. Er verstellt sich, so sehr, dass er seine eigenen Gedanken, Bedürfnisse und Wünsche nicht mehr greifen kann. Für jeden Menschen hat er eine eigene „Maske“ entwickelt und sich selbst dabei vergessen. Ein riesiger Leidensdruck lastet auf ihm und der Stress führt zu den körperlichen Symptomen.

Autisten haben für jeden Menschen die passende Maske.

Im weiteren Verlauf fallen mir noch mehr Dinge auf. Er kann mir nicht in die Augen schauen, über Gefühle sprechen fällt ihm schwer. Er beobachtet nicht nur seine Mitmenschen, sondern er berechnet sie, um die adäquate Reaktion seinerseits auszuloten. Klassische Anzeichen aus dem Autismusspektrum.

Doch warum waren 15 Jahre lang niemandem seine Symptome aufgefallen, die mir bereits in der ersten Sitzung auffielen? Wo waren die Kinderärzte, Neurologen, Lehrer und vor allem die Eltern in dieser Zeit? Warum mussten erst diese starken körperlichen Symptome auftreten, bevor jemand erkannte, was wirklich mit ihm los war?

Die Antwort ist so erschreckend wie auch simpel: Niemand kennt sich wirklich mit dieser Thematik aus! Im Psychologie Studium reduziert sich die Anzahl der Stunden zum Thema Autismus teils auf 90 Minuten. Hochsensibilität wird gar nicht erwähnt. Auch andere Neurodivergenzen kommen oft zu kurz. Im Medizinstudium sieht es nicht viel anders aus und auch Lehrkräfte haben oft nur oberflächliche Informationen.

Autismus wird oft nicht erkannt.

Doch wie erkennt man nun womit man es zu tun hat?

Hochsensibilität zeigt sich immer durch eine erhöhte Reizoffenheit und damit einer schnellen Überforderung, einem hohen Gerechtigkeitssinn und einer guten Sprachentwicklung. Eine sehr hohe Empathie und Liebe zur Natur, sowie einem hohen Ruhebedürfnis. Permanentes Denken und eine Abneigung gegen Menschenmassen finden wir ebenfalls.

Hochfunktionale Autisten wie Nick weisen oft die gleichen Eigenschaften auf. Bei Nick unterscheidet sich die Eigenschaft der Empathie allerdings von einem Hochsensiblen Menschen. Er berechnet die wahrscheinliche emotionale Reaktion eines Menschen und daraufhin seine eigene, die laut gesellschaftlichen Standards von ihm erwartet wird. Doch das geht so schnell, dass man es nicht sieht. Er muss seine Denkprozesse freiwillig preisgeben. Er fühlt nicht mit, er berechnet. Mit der gleichen Effizienz, die eine HSP durch Empathie hervorbringt. Eine erstaunliche Eigenschaft und eine enorme kognitive Leistung. Doch auch ein immenser Stressfaktor!

Dieses kleine Beispiel zeigt, wie stark die Überschneidungen sein können und wie schwierig es ist zu erkennen, womit man es überhaupt zu tun hat. Auf dem Überweisungsschein von Nick stand: Abklärung eines Post Covid Syndroms und eventuelle psychische Beteiligung. Der Fokus liegt meist auf dem was von außen zu sehen ist. Fast nie ist es wirklich das, was dahinter steht.

So lohnt es sich ganz genau hinzuschauen, womit man es zu tun hat, denn die Herangehensweise in der Gesprächsführung, in der Psychoedukation (Aufklärung) und in der Behandlung unterscheiden sich bei Autisten und Hochsensiblen teils deutlich voneinander.

Elaine Aron, die Begründerin des Begriffes Hochsensibilität stellte jüngst eine bislang nicht bewiesene These auf. Alle Asperger-Autisten seien hochsensibel laut den Kriterien, so die Vermutung.

Was ich persönlich zu dieser These denke? Gerade Hochsensibilität und das Asperger-Syndrom weisen extrem viele Überschneidungen auf, so wie auch bei Nick. Manche Autisten können sehr gut über Gefühle sprechen und sind auch empathisch. Die sogenannte Alexithymie (also die Unfähigkeit Gefühle anderer zu erkennen und darüber zu sprechen) ist zwar eines der Leitsymptome im Autismusspektrum, muss aber nicht da sein.

Laut den Diagnose Kriterien für das Asperger-Syndrom steht die schnelle Überreizung durch Reizoffenheit ganz oben auf der Liste, ebenso wie bei Hochsensiblen. Doch wie unterscheiden sich dann Asperger Autisten von Hochsensiblen? Man geht davon aus, dass Hochsensible etwas resilienter sind und mit den Eigenschaften anders umgehen. An dieser Stelle haben Autisten größere Herausforderungen zu überwinden. Die autistischen „Meltdowns“ (also das Ausklinken und gar nichts mehr aufnehmen können) kommen unter Umständen auch bei Hochsensiblen vor. Doch meist sind sie weniger stark ausgeprägt und gehen schneller vorbei.

Ein sehr gut aufgeklärter und resilienter Autist kann aber durchaus als hochsensibel bezeichnet und verwechselt werden. Wir sehen, es ist selbst für Experten sehr schwierig und nicht gleich erkennbar. Doch meiner Meinung nach sollte unser Augenmerk darauf gerichtet sein, wie wir den Menschen helfen können. Was sie wirklich brauchen. Welche Bedürfnisse sie zu erfüllen versuchen. Unabhängig von einer Diagnose.

Wenn wir jedem Menschen, egal wie sein Gehirn funktioniert, offen und wertschätzend begegnen, unseren Geist öffnen für andere Sichtweisen und Wahrnehmungen, dann spielt es keine Rolle ob jemand hochsensibel, autistisch, hochbegabt oder sonst irgendwie „nicht- neurotypisch“ ist. Das ist das Prinzip der Neurodiversität!  

Als Mitbegründerin der Akademie für Neurodiversität haben wir uns verpflichtet aufzuklären und auszubilden. Denn diese Themenfelder sind so facettenreich wie die Menschen selbst.

 

Geschrieben von Daniela Schmitten – Coach, Fachberaterin für Neurodivergenzen, Entspannungstrainerin, Hypnosetherapeutin,  Gründerin der Akademie für Neurodiversität

www.daniela-schmitten.de

www.childhood-akademie.de

Die 10 besten Dating Tipps für hochbegabte Menschen.

Die 10 besten Dating Tipps für hochbegabte Menschen.

10 Dating-Tipps für Hochbegabte.

Ein Grund, dem Verein beizutreten, ist, Gleichgesinnte zu finden. Neue Bekanntschaften zu machen, gemeinsam ausgefallenen Hobbys zu frönen und ja, vielleicht auch den Partner oder die Partnerin fürs Leben zu finden. Oder zumindest für einen Lebensabschnitt. Wie datingbereite Hochbegabte auch abseits der Kontaktanzeigen in unserem Magazin zueinander finden können und was es sonst noch zu beachten gibt, wenn man sich als Hochbegabte verabredet, darauf möchte ich in diesem Artikel eingehen. Schließlich heißt es nicht nur „Neues Jahr, neues Glück“, auch der Valentinstag steht vor der Tür und vielleicht wünscht man sich ja 2024 endlich jemanden, mit dem man gemeinsam und bewusst auf diesen „unsinnigen Kommerz“ verzichten möchte.

Zu lieben und geliebt zu werden ist ein menschliches Bedürfnis. Doch gerade für (hoch)intelligente Menschen scheint die Suche nach dem passenden Gegenüber eine immense Herausforderung zu sein. Fangen wir also beim Kennenlernen an. Wo findet man heutzutage den potenziellen Lebensabschnitts- oder gar Lebenspartner? Richtig. Wer ins Netz gehen will, der geht ins Netz. Online-Dating ist heute keine Frage des Alters mehr und längst in allen Gesellschaftsschichten angekommen, unabhängig von Bildung oder IQ.

1. Authentizität

Tatsächlich unterscheiden sich die Profile von Hochbegabten, wenn sie authentisch ausgefüllt werden, von denen anderer Suchender. Meist erkennt man schon auf und zwischen den Zeilen, dass diese Person anders ticken könnte. Neben dem klassischen Intelligenzbegriff finden sich gerne Begriffe wie Hedonismus oder Ganzheitlichkeit, meist ist das Profil ausformulierter, konkreter, reflektierter. Und das ist auch gut so. Verstellt euch nicht, vergleicht euch nicht mit anderen Profilen, sondern stellt euch ausführlich – und vor allem ehrlich – vor. Das gilt übrigens auch für Fotos, wenn du welche einstellst.

2. Profil und Portal

Es spielt keine Rolle, auf welcher Plattform du dich registrierst. Du kannst dich auch auf mehreren Plattformen anmelden, aber meistens leidet darunter die Qualität des einzelnen Profils. Formuliere deine Aussagen beim Online-Dating in den Portalen überlegt. Du bist anders als 98% der Bevölkerung(!), also darfst und sollst du auch anders sein. So hart es klingen mag: Aber so kannst Du schon im Vorfeld einige Menschen aussortieren. Beschreibe, wie Du bist und werde konkret in Bezug auf das, was Du suchst. Trau Dich auch, Begriffe wie Intelligenz oder Sapiosexualität zu verwenden. Du musst nicht schreiben, dass Du hochbegabt bist.

Hochbegabte dürfen anders sein.

3. Gleiches zieht Gleiches an

Habe Vertrauen. Wenn du Punkt 1 befolgst, wirst du auch Gleichgesinnte finden. Das Gesetz der Anziehung gilt im Netz genauso wie im richtigen Leben. Es beginnt mit der ersten Zeile, die man austauscht. Was langweilt uns am meisten? Richtig, Plattitüden und Smalltalk. Schreibe also genau so, wie es Deinem Typ entspricht. Du bist schüchtern? Dann beginne mit: „……….“ „Falls du dich wunderst: Die Punkte symbolisieren eine Pause, denn ich brauche immer eine Pause, bevor ich mich traue, jemanden anzusprechen. Eigentlich bin ich gerade ein bisschen aufgeregt.“ Du bist eher der extrovertierte Typ – lass es raus! Humor ist Trumpf!

4. Wie lange schreiben?

Wie lange sollte man sich schreiben, bevor man sich trifft? Das hängt davon ab, welcher Typ man ist und wie das Kennenlernen abläuft. Bei sehr sensiblen Menschen ist jedoch Vorsicht geboten: Bei zu langer und intensiver Kommunikation besteht die Gefahr, die Person auf ein Podest zu heben, alle Sehnsüchte in die Person hineinzuinterpretieren. Verliebe dich also nicht in dein Kopfkino oder in das Potenzial der Person.

Das kann gut gehen, aber meistens sind dann die Erwartungen des bereits „Verliebten“ zu hoch oder der andere zu schnell abgeschreckt. Also, fasst euch ein Herz. Wenn es grundsätzlich zu passen scheint, dann lernt euch besser früher als später im „real life“ kennen.

5. Das erste Treffen

Wählt einen ruhigen, aber belebten Ort für euer erstes Treffen. Wollt ihr euch austauschen? Dann sollte der Ort nicht zu laut sein. Empfehlenswert ist auch ein Spaziergang in der Natur. Beim Spazierengehen fällt es oft leichter, miteinander ins Gespräch zu kommen, als wenn man sich an einem kleinen Tisch gegenübersitzt und sich ständig in die Augen schauen muss. Ein Problem, das viele kennen. Grundsätzlich gilt auch hier: Sich selbst treu bleiben. Sich zum ersten Mal beim Bouldern zu verabreden, wenn man Sport hasst, ist sicher nicht besonders sinnvoll. Es ist übrigens nie verkehrt, jemandem von der Verabredung zu erzählen. Vor allem Frauen fühlen sich sicherer, wenn jemand „eingeweiht“ ist.

10 Tipps für Dating bei Hochbegabung.

6. Erwartungen

Das Wichtigste vorweg. Versuche, keine zu hohen Erwartungen an das erste Date zu haben. Wenn das Date in die Hose geht, hast du wenigstens etwas, worüber du später lachen kannst. Google doch mal „die schlimmsten, schrägsten Dates“ – da kannst du dich schon mal in Stimmung bringen. Aber Spaß beiseite. Gehe wirklich locker und entspannt in das erste Treffen und nimm dir vor, offen für eine neue Erfahrung zu sein, mit dem Ziel, ein paar schöne Stunden zu verbringen. Niemand weiß, wie sich das Ganze entwickeln wird. Manche Dinge brauchen einfach Zeit. Es geht darum, etwas Neues auszuprobieren. Nicht um jeden Preis eine Neue, einen Neuen „an Land zu ziehen“.

7. Gesprächsthemen

Erzähle von Dir, Deinem Leben, was Dich bewegt. Sag, was du dir wirklich wünschst. Wohin soll sich dein Leben entwickeln? Rede nicht zuerst und vor allem nicht zu viel über Deinen Beruf oder Deine Fähigkeiten. Versuche herauszufinden, was Dein Gegenüber mag, wofür er oder sie brennt, was ihn oder sie bewegt. Sprecht über eure Hobbys, was ihr als Kinder gerne gemacht habt, was ihr noch gerne machen würdet. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass gerade die Kommunikation unter Gleichgesinnten eigentlich kein Thema ist. Denn genau das ist es, was uns ausmacht: der Wunsch nach Tiefe im Gespräch. Ihr könnt Euch also entspannen.

8. Keine Monologe

Achte auf eine ausgewogene Gesprächsführung. Erzähle von dir, aber stelle auch Fragen und höre zu! So zeigst du am besten dein echtes Interesse an der anderen Person. Das gilt übrigens auch für den weiteren Verlauf der Beziehung. Wirklich zuhören will gelernt sein. Wer sofort mit Ratschlägen und Lösungen kommt oder am besten gleich seine eigene Geschichte zum Thema beisteuert, wird eher als unangenehm denn als aufmerksam empfunden. Übrigens eine Reaktion, zu der viele intelligente Menschen neigen! Bewusstes Zurücknehmen, dem anderen zuliebe, ist hier die Devise.

9. Der „Tag danach“

Du hast es geschafft. Das Date liegt hinter dir. Und du lässt deine Begegnung noch einmal Revue passieren. Wichtig ist, dass du weißt, dass es einen Unterschied zwischen Resonanz und echter Anziehung gibt. Denn in den seltensten Fällen ist ein Date ein totaler Reinfall. Und wenn wir mit der anderen Person in Resonanz sind, kann sich aus dem ersten Kennenlernen oft auch einfach „nur“ eine wunderbare Freundschaft oder Bekanntschaft entwickeln. Eigentlich hat man beim Daten also rein gar nichts zu verlieren – aber viel zu gewinnen. (Vielleicht ist ja auch der nächste Brettspielabend auf diese Weise gesichert. #füreuchgetestet).

10. Die Formel der perfekten Beziehung

Ein Fazit, das ich nach vielen Gesprächen mit anderen MensanerInnen mit euch teilen möchte. In einer Beziehung geht es viel darum, das eigene Ego hintenanzustellen, sich selbst reflektieren zu können und vor allem gemeinsam an einer Beziehung zu arbeiten.

Dabei muss es sich nicht unbedingt um einen hochbegabten Partner handeln. Hochbegabte Frauen haben zum Beispiel oft festgestellt, dass hochbegabte Männer ganz schön anstrengend sein können. Und das gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall. Denn manchmal ist die Formel „komplex, intensiv, fordernd“ plus „einfach, ruhig, gelassen“ viel angenehmer als „komplex, intensiv, fordernd“ hoch zwei. Lasst es darauf ankommen!

 

In diesem Sinne – viel Spaß bei euren Dating-Abenteuern. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mir gerne davon berichten. Auch, wenn Ihr noch weitere Tipps habt und braucht.

„Kennst du den schon?“ Die Auswirkungen der Intelligenz auf unseren Humor.

„Kennst du den schon?“ Die Auswirkungen der Intelligenz auf unseren Humor.

Wie humorvoll sind intelligente Menschen?

Wer mich kennt, weiß, wie gerne ich laut und herzlich lache. Underachiever, Schulverweigerer, Streber, Besserwisser – soziale Anpassungsschwierigkeiten, Perfektionismus, Ungeduld. Die Liste der negativen Assoziationen zum Thema Hochbegabung ist lang. In der Diskussion in meiner Coaching-Praxis geht es oft um die Probleme, die das Thema mit sich bringt. Zeit, dass (hochbegabte) Leben einmal von einer seiner schönsten Seiten zu beleuchten: Der Freude am Lachen.

Ob man den Humor nun als die edelste Form menschlichen Ausdrucks oder als die ultimative Freiheit des Geistes betrachten möchte – letztlich wissen wir spätestens seit Vera F. Birkenbihl „Lachen produziert Freudehormone und Freudehormone fressen Kampfhormone“. In einer statistisch völlig unzureichenden Untersuchung meinerseits habe ich versucht herauszufinden, ob Humor und Intelligenz Hand in Hand gehen und mich auf die Suche nach hochbegabten Menschen gemacht, die mich an ihren heiteren Momenten teilhaben lassen wollten. Meine Ergebnisse stelle ich hier gerne zur Verfügung – in der Hoffnung, dem einen oder anderen mehr als nur ein Schmunzeln zu entlocken. Schließlich geht es hier um eines der vielleicht wichtigsten Dinge im Leben: Humor.

Dieser Artikel ist im Oktober 2023 im Magazin “MinD” erschienen.

Humor bei Hochbegabten.

Das Verständnis von Komik ist individuell.

Es ist klar, dass nicht alle Hochbegabten die gleichen Eigenschaften oder Verhaltensweisen haben. Jeder Mensch ist ein Individuum mit einer einzigartigen Persönlichkeit und Erfahrung. Und wie eingangs beschrieben, erhebt dieser Artikel keinen Anspruch auf wissenschaftliche Fakten. Vielmehr soll mit einem Augenzwinkern auf gewisse Gemeinsamkeiten hingewiesen werden, ohne dabei zu vergessen, dass Humor ein komplexes Phänomen ist, das von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, darunter kultureller Hintergrund, Erziehung, Lebenserfahrungen und, ja, auch Intelligenz.

Intelligente Witze. Geht das überhaupt?

Unter der Frage: „What is the most intelligent but yet funniest joke you’ve ever heard?“ haben unzählige User auf Reddit ihre „intelligentesten“ Witze geteilt. Solltet Ihr mal einen schlechten Tag haben: absolut empfehlenswert! Who is this Rorschach guy and why does he paint so many pictures of my parents fighting? ist nur einer von vielen gefeierten Witzen auf diese Frage. Spannend ist, dass offenbar intelligente Witze mit speziellem Wissen oder Bildung einhergehen müssen. Beispiele gefällig? Three logicians walk into a bar. The bartender asks: “Do all of you want a drink?” The first logician says “I don’t know.” The second logician says “I don’t know.” The third logician says “Yes!” oder What’s the difference between an etymologist and an entomologist? An etymologist knows the difference.

Intelligente Witze

Humor und Sprache.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Antwort einer meiner Probanden: „Ich habe Humor genutzt, um mein Englisch zu verbessern. Ich habe jeden Morgen die Witzseite der lokalen Tageszeitung gelesen und meine Kollegen so lange genervt, bis ich auch den letzten Witz so verstanden hatte, dass ich darüber lachen konnte“. Ob die Kollegen das auch lustig fanden? “Ich bin nicht stur, ich bin meinungsstabil”, sagte neulich der Sohn einer Klientin zu seiner Mutter, worüber wir sehr gelacht haben.
Der geneigte Leser hat es sicher bemerkt. Viele Witze müssen in der Originalsprache belassen werden, wenn man sie nicht ihres Witzes berauben will. „Humor hat auch viel mit der Sprache zu tun, in der man lebt, fühlt und denkt. In meiner Muttersprache bin ich ganz anders witzig als auf Deutsch. Das liegt an speziellen Ausdrücken, am Tonfall, an der ganzen Kommunikation und den Gewohnheiten“, erzählt mir eine promovierte Universitätsdozentin, deren Lieblingsmeme übrigens wie folgt lautet. Hello Friends, this is Satan. I’m here to remind you that plagues, great floods and, pandemins are god’s department. I just do orgies and metal bands.

Einfache Witze für komplexe Denker.

„Was Humor angeht, bin ich, glaube ich, ziemlich einfach gestrickt. Ich mag vor allem den Humor, den man nicht kommen sieht“, meinte ein anderer Befragter. Und tatsächlich scheint es hier eine Gemeinsamkeit zu geben. Eine Art Humor, die fast alle „Verkopften“ zum Lachen bringen kann. Is the symbol for silicon the same in Spanish? – Si. Oder According to Freud, what is in between fear and sex? – Fünf. Ihr wollt noch einen? Das Licht am Ende des Tunnels ist ein Zug. Diese Art von unerwartetem Humor findet sich nicht nur in vielen Twitter-Beiträgen. Auch exzellente Kabarettisten beherrschen ihn. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Antwort eines Mensaners, der auf die Frage nach seinem Humor antwortete: „Das muss ich mir heute Abend mal überlegen“. Ob gewollt oder nicht, es war eine Antwort, die mich zum Lachen brachte.

Ironie und noch besser, die Selbstironie.

Zum Schmunzeln bringt die meisten von uns auch das Thema Selbstironie. The other day my friend was telling me that I didn’t understand what irony meant. Which is ironic, because we were standing at a bus stop. Spätestens bei diesem Verständnis von Komik kommt dem Serienjunkie Sheldon Cooper von der Big Bang Theory in den Sinn. Eine Serie, die beweist, dass überragende Intelligenz und die damit verbundene Andersartigkeit zumindest bei „Normalsterblichen“ für viel Spaß sorgen kann. Tatsächlich vermutet einer der Reddit-Nutzer hinter dem Fragesteller Autoren der Serie auf der Suche nach Inspiration. Programmers keep two glasses on their night table, one with water, one without. One is for if they are thirsty when they wake up, the other if they aren’t… Sollte es so sein, werden diese bei Reddit sicher fündig.

Humor komplexer Denker.

Ich habe auf jeden Fall Humor, nur leider versteht kaum jemand meine Witze, weil man dafür um die Ecke denken muss. Mein Mann meint immer, man bräuchte eine Gebrauchsanweisung für meine Witze, schrieb mir eine Hochbegabte. Wenn Sheldon Cooper einen Witz macht und niemand lacht, lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. “Ich habe Applaus erwartet. Aber ich nehme an, ehrfürchtiges Schweigen ist auch angemessen“, kontert der Physiker in der Serie. Vielleicht für den einen oder anderen Leser die passende Antwort, um sich bei nächster Gelegenheit
souverän aus einer unangenehmen Situation zu befreien. Interessant ist auch, dass Hochbegabte selbst bei lustigen Anekdoten oft nicht auf den Punkt kommen. Und das, obwohl sie selbst die Ersten sind, die bei solchen Äußerungen durchdrehen: „Auf einer Skala von 1…“ „Ja, ungeduldig, mein Gott!“

Ist intelligenter Humor kompliziert?

Schwarzer Humor, Tiefsinnig- und Doppeldeutigkeiten.

“Die Art von Humor, die mir liegt, ist ein tiefgründiger, manchmal schwarzer Humor, der mit Feinheiten und Doppeldeutigkeiten arbeitet.” Die bayerische Kabarettistin Martina Schwarzmann hat diesen Humor perfektioniert: Zu ihrem Kleid, das sie auf dem Flohmarkt gefunden hat, fällt ihr ein, dass es praktisch wäre, wenn in den Todesanzeigen immer Gewicht und Konfektionsgröße angegeben wären. So könnten oft Ressourcen gespart werden. Der Meister der ebenso banalen wie genialen Wortspiele, Willy Astor, zeigt sein Können auch auf seiner Website: „As Tor“ (bayerisch für „das Tor“) lädt in Form eines Tores zur Verkostung ein: Humor direkt vom Erzeuger. Aber Vorsicht: Ist das Programm eines Künstlers zu einseitig, der vorgegebene Ablauf zu vorhersehbar, langweilen sich intelligente Menschen schnell. Was zählt, ist der Überraschungseffekt. Dann doch lieber Sträter. Einer meiner Befragten musste „neulich schnell das Hörbuch von Torsten Sträter ausschalten und auf Radio umschalten“, weil er „sonst nicht mehr in der Lage gewesen wäre, Auto zu fahren“.

Das Beste zuletzt.

Wer jetzt einen Schenkelklopfer erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Meine Studien zusammenfassend kann ich aber sagen, dass gut gewählte, intelligente Formulierungen und Wortwitz bei den meisten Mensanern nicht zu toppen sind. Und das gilt im Übrigen auch für das Flirten. Ich bin mir sicher, dass intelligente Menschen sich nicht zuletzt über den speziellen Humor finden. In diesem Sinne: “Ich wünsche mir ein Einhorn zu Weihnachten”. “Sei realistisch!” “Okay, dann wünsche ich mir die wahre Liebe.” “Welche Farbe soll das Einhorn haben?”

Underachievement. Wenn das Potenzial auf der Strecke bleibt.

Underachievement. Wenn das Potenzial auf der Strecke bleibt.

Potential erkennen bei Hochbegabung.

Zu den intelligentesten Menschen der Welt gehören statistisch gesehen nur 2% der Bevölkerung. Doch nicht weniger als 15% von ihnen wird nachgesagt, dass sie ihre „PS nicht auf die Straße bringen“. Underachievement bedeutet, das eigene Potenzial nicht auszuschöpfen bzw. schlechte oder gar keine Leistungen zu erbringen. Underachievement ist ein Dauerthema unter Hochbegabten.

Häufig wird der Begriff „Underachiever“ für Schülerinnen und Schüler verwendet, die trotz eines sehr hohen Leistungspotenzials und einer überdurchschnittlichen Intelligenz über einen längeren Zeitraum nur mäßige oder schlechte Schulleistungen zeigen. Man spricht dann auch von erwartungswidriger Minderleistung. Und genau hier liegt ein großer Teil des Problems: in der Erwartungshaltung, sowohl von außen als auch von den Betroffenen selbst. Ein Phänomen, das auch vor Erwachsenen nicht Halt macht.

Dieser Artikel ist im August 2023 im Magazin “MinD” erschienen.

Underachievement bei Hochbegabten.

Underachievement im Kindesalter.

Im Kindesalter bezieht sich der Begriff „Underachievement“ auf Situationen, in denen das betroffene Kind nicht sein volles Potenzial ausschöpft. Dies kann sich auf verschiedene Bereiche beziehen, wie z.B. schulische Leistungen, soziale Fähigkeiten oder kreative Begabungen. Lernschwierigkeiten, Motivationsprobleme, Lebensumstände, Umweltfaktoren, Über- oder auch Unterforderung – es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum ein Kind nicht die erwartete Leistung erbringt. Die Praxis zeigt, dass die beiden größten Schwierigkeiten, mit denen Eltern hochbegabter Kinder konfrontiert sind, schulischer und sozialer Natur sind. Underachievement beginnt häufig schon im Grundschulalter, wird aber oft erst in der Sekundarstufe und in der Pubertät zu einer echten Herausforderung für die Familie. Statistisch gesehen sind mehr Jungen als Mädchen von Underachievement betroffen.

Hochbegabung bei Kindern ist für Familien eine Herausforderung.

Underachievement im Erwachsenenalter.

Das Problem der „Leistungsschwäche“ verschwindet nicht immer. Eine Einstellung oder ein Verhalten, das in der Kindheit beginnt und teilweise perfektioniert wird, setzt sich nicht selten im Erwachsenenalter fort. Die Unfähigkeit, Leistung zu erbringen, kann sich weiterhin auf verschiedene Lebensbereiche auswirken, wie z. B. auf das Studium oder die Ausbildung, die berufliche Karriere, aber auch auf persönliche Ziele, soziale Beziehungen oder den finanziellen Erfolg. Mangelnde Zielvorstellungen, fehlende intrinsische Motivation, aber auch Versagens- oder Erfolgsängste können Gründe dafür sein. Häufig ist eine negative Selbstwahrnehmung oder ein mangelndes Selbstwertgefühl bereits in der Kindheit verankert.

Aber auch besondere Lebensumstände, mangelnde Unterstützung oder fehlende Ressourcen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit.

Über die Hintergründe und Faktoren.

Auch wenn es bei Erwachsenen z.B. durch Schicksalsschläge oder Krankheit zu einem plötzlichen Leistungsabfall kommen kann, möchte ich mich in diesem Beitrag auf die Underachiever konzentrieren, die bereits seit ihrer Kindheit unter diesem Phänomen leiden und später auf zwei Konstellationen eingehen: Zum einen auf diejenigen, bei denen die Hochbegabung bereits im Kindesalter festgestellt wurde, und zum anderen auf die Spätentdeckten. Unabhängig vom Bewusstsein einer Hochbegabung zeichnen sich intelligente Kinder häufig auch dadurch aus, dass sie Situationen sehr schnell und ganzheitlich erfassen und die erlebten Reaktionen darauf speichern können. Nicht selten sind diese Kinder auch wahre Meister darin, Gefühle und Stimmungen anderer wahrzunehmen. All dies geschieht jedoch in der Regel nicht bewusst.

So wird schon früh der Grundstein dafür gelegt, wie Reaktionen und der Umgang mit der eigenen Neugier, kritischem Hinterfragen und Leistung im Gehirn angelegt werden. In einer liebevollen, offenen Umgebung, in der das Kind so angenommen wird, wie es ist, gibt es in der Regel keine Probleme. Doch mit dem Eintritt in unser Schulsystem beginnt oft eine lange Leidensgeschichte. Hier entsteht zum ersten Mal ganz konkret Konformitätsdruck: Es gilt, sich den Erwartungen von Lehrern, Eltern und Mitschülern anzupassen.

Fight, flight, freeze.

Spätestens hier wird der innere Kompass des wissbegierigen Kindes auf den Kopf gestellt. Wissensdurst, Schnelligkeit, Gerechtigkeit, eigene Interessen – all das, was Hochbegabung und damit einen großen Teil der Persönlichkeit des Kindes definiert, hat in unserem Schulsystem einen ganz anderen oder gar keinen Stellenwert mehr. Schlimmer noch: Vieles von dem, was Hochbegabung ausmacht, wird heute noch bestraft. Mit Ampelsystemen, dem Wegnehmen von Murmeln, später mit Verweisen oder Nachsitzen. Ob im Elternhaus, im Kindergarten oder in der Schule. Wenn die eigene Existenz grundlegend in Frage gestellt wird und damit das eigene Überleben in Gefahr gerät, reagiert der Mensch seit jeher mit einer von drei Möglichkeiten: „fight, flight or freeze“. So finden wir die Kämpfenden, die Revoluzzer unter den Kindern, die Flüchtenden, also die Kinder, die oft gar nicht mehr zur Schule gehen, Vermeidungsstrategien finden oder eben die dritte Variante, die Erstarrenden. Das kann je nach Situation unterschiedlich sein.

Hochbegabte Kinder haben es nicht leicht in der Schule.

Müssen die PS auf die Straße?

Bleiben wir bei der beliebten Metapher der PS, die nicht auf die Straße gebracht werden können. Das Kind, dessen PS bekannt sind, sieht sich in unserer Gesellschaft immer noch hohen Erwartungen ausgesetzt. Es hält sich hartnäckig das falsche Bild, ein hochbegabtes Kind müsse schon in jungen Jahren Opern komponieren, mathematische Formeln auf Universitätsniveau lösen oder zumindest mehrere Sprachen beherrschen. Das hochbegabte Kind muss sehr früh erfahren, dass es diesen – offensichtlich berechtigten – Erwartungen nicht gerecht wird. Wie deprimierend muss es sein, eigentlich zu spüren, dass man anderen kognitiv weit voraus ist, und doch immer wieder das Gegenteil gespiegelt zu bekommen. Die Offenheit, dass viele PS nicht immer unter der Haube eines Porsches stecken müssen, dass Züge oder Fähren viel mehr PS haben, fehlt in unserer Gesellschaft. Die Antwort auf die Frage nach dem Selbstwertgefühl liegt auf der Hand.

Underachievement bei Späterkannten.

Ähnlich geht es einem Kind, dessen Begabung nicht erkannt wird. In einem Umfeld, das mit großer Neugier und kritischem Hinterfragen weniger gut umgehen kann, wird sich auch dieses Kind immer falsch fühlen. „Du bist noch zu klein dafür“, „So ist das nun mal“, „Sei doch nicht immer so anstrengend“ führen genau zu diesen Verankerungen im Gehirn, im Unbewussten. „Ich bin zu klein“, „So wie ich bin, bin ich anstrengend, nicht gewollt, nicht geliebt“. Am Ende bleibt auch hier: So wie ich bin, bin ich nicht gut (genug).

Das Problem: Evolutionär gesehen ist das Kind ohne den Schutz der Eltern nicht überlebensfähig. Das Kind wird also alles tun, um die Liebe der Eltern zu erhalten und passt sich an. Es verinnerlicht diese Glaubenssätze als Wahrheiten, die uns bis ins hohe Alter, hier völlig unbewusst, begleiten. Eingebrannt in die Festplatte unseres Unterbewusstseins.

Wege aus der Erstarrung.

Ein erster wichtiger Schritt ist, wie bei den meisten psychologischen Themen, das Erkennen und Akzeptieren der Situation. Auch wenn es einfach ist: Die Schuld auf die äußeren Umstände zu schieben, auf das familiäre Umfeld, auf die Lehrerin oder den Lehrer, auf die Chefin oder den Chef, ist keine Lösung. Als Erwachsener ist man gefordert, selbst Verantwortung zu übernehmen. Erst dann können sich tiefsitzende Muster auflösen. Dafür gibt es verschiedene psychologische Ansätze. Wer schnelle Hilfe wünscht, kann die erlernte Strategie auch durch Coaching, z.B. durch Hypnose in Kombination mit Mentaltraining oder anderen Verfahren, auflösen. Das Spannende dabei ist, dass das Unterbewusstsein schon aus energetischen Gründen ein großes Interesse daran hat, hinderliche Blockaden loszuwerden.

Anders sieht es bei den Kindern aus. Hier sind wir als Eltern gefordert, Verantwortung zu übernehmen, unser Verhalten zu überdenken und aktiv zu werden. Unsere eigenen Muster aufzulösen. Unsere Kinder genauso anzunehmen, wie sie sind und ihnen genau das vorzuleben. Ihnen den Rücken zu stärken. Ihnen zu helfen, unser Schulsystem einigermaßen unbeschadet zu überstehen, ohne die Freude am Lernen und am Sein zu verlieren.

Eine große Aufgabe? Scheinbar unlösbar? Genau dafür gibt es unseren Verein. Um unseren Themen eine Plattform zu geben. Probleme anzusprechen und gemeinsam zu versuchen, neue Wege und Lösungen zu finden.

Das Impostorsyndrom – Von der Anzweifelung der eigenen Fähigkeiten

Das Impostorsyndrom – Von der Anzweifelung der eigenen Fähigkeiten

Menschen mit Impostor-Syndrom zweifeln an ihre Fähigkeiten.

Die Scham nicht gut genug zu sein, die Anzweifelung der eigenen Fähigkeiten ist kein neues Gefühl. Geniale Menschen machen dabei keine Ausnahme. So sollen Aufzeichnungen und Zitate von John Steinbeck, Agatha Christie oder auch Albert Einstein existieren, die genau das beschreiben.

Auch die hochbegabte Schauspielerin Jodie Foster soll 1988 aus diesem Grund ihren Oscar zurückgeben haben wollen. Und die ebenso hochbegabte, wie talentierte Emma Watson wird 2013 im Gespräch mit dem Rookie Magazine wie folgt zitiert: „Es ist, als ob mein Gefühl der Unzulänglichkeit zunimmt, je besser ich es mache. Ich denke, dass jeden Moment jemand herausfinden wird, dass ich ein totaler Betrüger bin und nichts von dem verdiene, was ich erreicht habe.“

Dieser Artikel ist im Juni 2023 im Magazin “MinD” erschienen.

Hochbegabte und das Hochstapler-Syndrom.

Ein Phänomen der Hochbegabung?

Tatsächlich existiert vor allem bei spät erkannten Hochbegabten das psychologisch anerkannte Phänomen, jahrelang unter dem Gefühl zu leiden, nicht wirklich klug oder talentiert zu sein. Die Bereiche, in denen sich die Person dann unzulänglich fühlt, können dabei, genauso wie der Umgang mit der eigenen Unsicherheit, variieren. Ausbildung, Karriere, Partnerschaft oder Familie: Das sogenannte Impostorsyndrom führt dazu, dass die eigenen Leistungen heruntergespielt oder Erfolge auf äußere Faktoren zurückgeführt werden, anstatt sie dem eigenen Können zuzuschreiben. Auch Fehler und Misserfolge werden nur zu gerne als Beweis dafür betrachtet, tatsächlich nicht kompetent zu sein.

Obwohl das Impostorsyndrom kein diagnostizierbarer Zustand ist, wird es von vielen Psychologen als ein häufiges und belastendes Phänomen angesehen. Und auch wenn das Phänomen nicht unmittelbar mit einer Hochbegabung in Zusammenhang stehen muss, ist es etwas, mit dem ich als Coach für Hochbegabte nahezu täglich konfrontiert werde.

Über die Hintergründe und Faktoren

Als Faktoren werden oftmals eine negative Selbstwahrnehmung genannt, ein hoher Drang nach Perfektionismus oder auch Diskriminierung oder Marginalisierung. So betrachtet, ist der oder die Hochbegabte in meinen Augen geradezu dazu prädestiniert, unter diesem Phänomen zu leiden. Schließlich fühlen sich viele Hochbegabte bereits in jungen Jahren mit Neid, Missgunst oder Abwertung konfrontiert. Auch die eigenen Eltern sind oftmals mit dem Wissensdrang und anderen Herausforderungen des hochbegabten Kindes überfordert. Dabei haben die wenigsten von uns in jungen Jahren die Stärke, über diesen Anfeindungen zu stehen. In vielen Fällen bleibt die unbewusste Verknüpfung unserer Leistung und unseres Seins, mit dem Gefühl „nicht richtig“ oder „verkehrt“ zu sein. Wir gewöhnen uns von klein an daran, unsere Potentiale unter den Scheffel zu kehren, Talente nicht an die große Glocke zu hängen oder sie kleinzureden.

Das Hochstapler-Syndrom bei Hochbegabten.

Hoch- oder Tiefstapler?

Was in der Kindheit ohne viel Aufhebens von statten geht, kann dann als Erwachsener zu dem weit verbreiteten „Hochstapler“- oder auch englisch Impostorsyndrom führen.

Das Problem ist, dass der Erwachsene das Gefühl aus der Kindheit für bare Münze nimmt. Er ist so daran gewöhnt, dass seine Begabung oder sein Talent nicht wertgeschützt wurde, dass er irgendwann selbst daran glaubt. So ist es gar nicht selten, dass hervorragende Schul- oder Studienabschlüsse statt mit Stolz und Euphorie mit dem Gefühl verbunden werden, dennoch ungenügend zu sein, und das gute Abschneiden wird mit Glück oder Zufall erklärt. Nicht wenige fühlen sich sogar als Betrüger, als „Hochstapler“. Interessanterweise sorgt aber genau diese Begrifflichkeit wieder für Irritation bei Hochbegabten. So ist ein Hochstapler per Definition jemand, der etwas Unwahres bewusst hervorhebt. So erzählt eine Klientin, dass sie lange Zeit sicher war, die Schule müsse sich bei ihrem Einser-Abitur verrechnet haben. Bis heute spricht sie deswegen nur ungern von ihrer hervorragenden Leistung. Und empfindet den Begriff „Tiefstaplerin“ als in dem Zusammenhang viel passender.

Das Mogelpackungssyndrom

Ich selbst, ebenfalls eine „Spätentdeckte“ kenne das Gefühl nur zu gut und nenne es heute liebevoll „Mogelpackung“-Syndrom. Jahrelang habe ich eine Ausbildung nach der anderen „gesammelt“. Glücklicherweise kann ich heute darüber schmunzeln. Aber dieses Gefühl nicht zu genügen, hat mich lange Zeit immer wieder nach neuen Bestätigungen suchen lassen. Und auch das ist eine Art, wie sich das bekannte Phänomen auswirken kann: Egal wie viele Beweise objektiv betrachtet für die eigenen Fähigkeiten und Leistungen vorliegen – dem Betroffenen ist es nicht möglich dem eigenen Können zu vertrauen und der Drang, immer noch mehr lernen zu müssen, bleibt übermächtig. Gerade bei Selbständigen oder Personen, die sich selbständig machen wollen, ist diese Art des „Zertifikate sammeln“ häufig anzutreffen. Gepaart mit einem gesunden und uns inne liegenden Wissensdrang entsteht so nicht selten ein kaum zu bremsender Teufelskreis.

Das Gefühl „nicht gut genug zu sein“ oder „auffliegen“ zu können, betrifft aber auch Angestellte, vor allem erfolgreiche Menschen. Auch hier sind (spät- oder unerkannte) Hochbegabte oftmals der Meinung, dass ihre Leistung für den eigenen Job nicht annähernd ausreicht, oder wundern sich, dass es niemandem auffällt, dass sie grenzenlos überschätzt werden. Und selbst wenn Betroffene von ihren Kollegen oder auch von Freunden für ihre Leistungen gelobt werden, fühlen sie sich unwohl und leben in der Angst, dass die vermeintliche Unfähigkeit aufgedeckt werden könnten, denn auch hier ist sich der „Hochstapler“ sicher: nicht er allein ist für den Erfolg verantwortlich, sondern das Glück oder der Zufall haben ihm in die Hände gespielt. Eine allzeit beliebte Ausrede ist auch das Team, dass den Großteil des Erfolgs für sich verbuchen kann.

Typisch für Hochbegabte?

Auch das könnte den Ursprung in unserer Kindheit haben. Hochbegabten Kindern fällt im Vergleich mit anderen sehr vieles leichter und so werden oftmals Fähigkeiten oder Aussagen gelobt, die im Empfindungssystem des Kindes keinen besonderen Stellenwert haben. Die eigene Fähigkeit wird als nicht besonders angesehen, da der dahinter vermutete „Aufwand“ nicht annähernd dem tatsächlichen entspricht. „Das ist doch nichts Besonderes“ ist ein Denkmuster, das auch im Alter prägend bleibt. Dem hingegen haben hochbegabte Kinder oftmals die größten Ansprüche an sich selbst: Die genialsten Ideen im Kopf, die wunderbarsten Bilder, die schönsten Musikstücke, die tollsten Geschichten scheitern oftmals in der Umsetzung. Die Hände sind eben noch nicht so geübt, ein Buch nicht in einem Tag geschrieben oder die Gegebenheiten eben nicht immer so, wie das hochbegabte Hirn es sich ausmalen kann. Das Resultat: Hochbegabte Kinder erleben früh, dass es einerseits keine besondere Leistung benötigt um gelobt zu werden, andererseits scheitern sie selbst immer wieder an ihren eigenen Ansprüchen, egal was sie leisten. Beide Punkte führen dazu, dass ein völlig anderes, verschobenes Leistungsverständnis, als bei anderen Kindern entsteht.  Meiner Meinung nach sind das alles Umstände, die das Hochstapler-Syndrom nicht nur begünstigen, sondern vielleicht sogar erzeugen.


Und wie bei den Hochbegabten unterscheidet das Impostorphänomen zwischen „Over-Doern“ und „Under-Doern“, eine gewisse Parallele zu den „Hoch“- und „Minderleistern“ bei Hochbegabten. Denn Menschen, die am Hochstaplersyndrom leiden, reagieren unterschiedlich. Over-Doer stürzen sich in die Arbeit und sind absolut perfektionistisch, mit dem Ziel, durch extensive Arbeit zu verhindern, jemand möge denken, sie könnten nichts. Die Under-Doer prokrastinieren, bis sie die Aufgabe, vor der sie Angst haben, gar nicht mehr gut machen können, mit dem Ziel zu zeigen, dass das schlechte Abschneiden nicht am fehlenden Talent liegt.

Hochbegabte haben oft seit ihrer Kindheit das Impostor-Syndrom.

Was kann ich tun?

Beide Arten des Umgangs erschweren das Leben der Betroffenen immens. Und so können sowohl konstant hoher Leistungsdruck, Perfektionismus und hohes Anspruchsdenken genauso wie die Selbstsabotage oder Prokrastination der „Minderleister“ zu mehr oder weniger hohen psychischen Belastungen bis zu Burnout oder Depression führen.

Ein Stück weit leiden wir dann und wann sicher aller unter diesem Phänomen. Gefährlich wird es dann, wenn das Gefühl überhandnimmt und die eigene Lebensqualität beeinträchtigt. Um das Impostorsyndrom zu bewältigen, gibt es verschiedene Ansätze. Eine therapeutische Unterstützung, wie beispielsweise kognitive Verhaltenstherapie, kann helfen, negative Selbstwahrnehmungen zu verändern und die Betroffenen dazu ermutigen, ihre Fähigkeiten und Leistungen anzuerkennen. Mentoring und Coaching können ebenfalls hilfreich und erfolgreich sein, um Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aufzubauen.