Zwischen Wahrnehmungsintensität, Hochbegabung und Hochsensibilität
Für viele Menschen fühlt sich das Leben intensiv an – Geräusche, Gedanken, Gefühle, Sinneseindrücke. Es ist, als würde das Leben in HD laufen, während andere in Standardauflösung durch den Tag gehen. Wer so empfindet, kennt vermutlich das Konzept der Hochsensibilität, doch gibt es ein weiteres, hochinteressantes Konzept, das mir kürzlich bei meinen „Forschungen“ über den Weg gelaufen ist und das ich mit großer Begeisterung teilen möchte: Overexcitabilities – ein Begriff, der insbesondere im Kontext von Hochbegabung und neurodivergentem Erleben immer wieder auftaucht.
Doch was genau sind Overexcitabilities? Wie unterscheiden sie sich von Hochsensibilität? Und warum ist es wichtig, den Unterschied zu kennen?
Was sind Overexcitabilities?
Der Begriff Overexcitabilities (auf Deutsch: Übererregbarkeiten) stammt vom polnischen Psychologen Kazimierz Dabrowski. Er entwickelte im Rahmen seiner Theorie der positiven Desintegration (Theory of Positive Disintegration) das Konzept, dass bestimmte Menschen eine erhöhte Reaktionsbereitschaft auf innere und äußere Reize zeigen. Ursprünglich verstand Dabrowski diese Overexcitabilities als typisches Merkmal hochbegabter Menschen – also Menschen, die intensiver wahrnehmen, empfinden, denken und reagieren als andere.
Heute wissen wir jedoch, dass nicht nur Hochbegabte diese Form von intensiver Reizverarbeitung erleben. Auch hochsensible, hypervigilante oder neurodivergente Menschen (wie etwa Autist*innen oder ADHS-Betroffene) zeigen sehr ähnliche oder sogar identische Phänomene. Zwar haben diese Gruppen mitunter unterschiedliche neurologische oder psychologische Ursachen, die erlebte Intensität jedoch überschneidet sich häufig.
Overexcitabilities sind also ein Konzept aus der Hochbegabungsforschung – aber auch viele hochsensible und neurodivergente Menschen erleben genau diese Form der intensiven Wahrnehmung und Reaktion.

Dabrowski beschrieb fünf verschiedene Formen der Overexcitabilities:
1. Psychomotorische Overexcitabilities
- Großer Bewegungsdrang, innere Unruhe
- Rededrang, schneller Handlungsimpuls
- Oft mit ADHS verwechselt
2. Sensorische Overexcitabilities
- Intensive Wahrnehmung von Geräuschen, Gerüchen, Licht, Stoffen, Geschmack
- Genussfähigkeit, aber auch Reizüberflutung
- Nähe zur Hochsensibilität
3. Intellektuelle Overexcitabilities
- Starker Denkdrang, ausgeprägte Neugier, tiefgehendes Grübeln
- Philosophische Fragen, Verlangen nach Sinn
- Typisch bei Hochbegabung
4. Imaginative Overexcitabilities
- Reiche Fantasie, starke bildhafte Vorstellungskraft
- Tagträumereien, kreativer Ausdruck, intensive innere Bilder
5. Emotionale Overexcitabilities
- Tiefe Gefühle, starke Empathie, intensive emotionale Bindungen
- Hohes Mitgefühl, starkes Gerechtigkeitsempfinden
Hochbegabt, hochsensibel oder beides?
Die Begriffe Hochsensibilität und Overexcitabilities werden häufig miteinander vermischt – und das ist verständlich, denn es gibt durchaus Überschneidungen. Beide Konzepte beschreiben eine erhöhte Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen. Dennoch unterscheiden sie sich in Herkunft, Zielrichtung und Schwerpunkt.
Der Begriff Overexcitabilities stammt aus der psychologischen Entwicklungstheorie von Kazimierz Dabrowski. Er beschreibt hiermit fünf verschiedene Bereiche, in denen Menschen besonders intensiv reagieren können: emotional, psychomotorisch, intellektuell, imaginativ und sensorisch. Dabrowski sah diese Übererregbarkeiten als wichtigen Entwicklungsimpuls für Reifung und Persönlichkeitsbildung – besonders im Kontext von Hochbegabung, aber auch bei neurodivergenten Menschen.
Hochsensibilität hingegen ist ein Konzept, das auf die Arbeit der US-amerikanischen Psychologin Elaine Aron zurückgeht. Hier steht vor allem die feine Wahrnehmung von Sinnesreizen und emotionalen Stimmungen im Mittelpunkt. Hochsensible Menschen nehmen intensiver wahr – sowohl äußere Reize als auch innere Vorgänge – und brauchen mehr Zeit zur Verarbeitung. Ziel ist hier meist nicht Weiterentwicklung, sondern Schutz und Regulation, also der achtsame Umgang mit einer reizintensiven Welt.
Kurz gesagt: Hochsensible Menschen nehmen stärker wahr – Menschen mit Overexcitabilities reagieren intensiver.
Beide Phänomene können gemeinsam auftreten, müssen es aber nicht. Wer sich in beidem wiederfindet, erlebt die Welt nicht nur mit großer Tiefe, sondern auch mit großer Intensität – und darf lernen, diese besondere Wahrnehmung als Superpower zu begreifen und lernen, damit liebevoll umzugehen.en Eltern höre, und das nur, weil ihre Kinder in ihrem So-sein nicht verstanden werden. Das muss nicht sein!

Overexcitabilities im Alltag – Wenn alles „mehr“ ist
Wer Overexcitabilities in sich trägt, erlebt die Welt nicht nur anders – sondern „mehrdimensional“. Der Klang einer Melodie kann Gänsehaut auslösen, eine Idee kann stundenlanges Nachdenken anregen, ein Unrecht kann emotional tief erschüttern.
Dieses „Mehr“ kann eine Kraftquelle sein – Kreativität, Innovationsfreude, Leidenschaft, Verbundenheit. Aber es kann auch zu Herausforderungen führen:
• Reizüberflutung
• Erschöpfung durch zu viel inneres Erleben
• Missverständnisse („Warum bist Du immer so sensibel?“)
• Selbstzweifel („Warum bin ich so kompliziert?“)
Hypervigilanz, Neurodivergenz und Overexcitabilities
Auch hypervigilante Menschen – etwa nach traumatischen Erfahrungen – und neurodivergente Menschen (z. B. mit ADHS oder Autismus) zeigen oft ähnliche Muster: starke Reaktion auf Reize, schnelle Überforderung, Bedürfnis nach Rückzug oder Klarheit. Die Parallelen zu Overexcitabilities sind frappierend – allerdings ist hier die Ursache oft eine andere.
Overexcitabilities sind nicht! automatisch ein Zeichen von Trauma oder Störung – sie können Ausdruck einer neurobiologischen Intensität sein, die Entwicklungspotenzial in sich trägt.
Was hilft? – Umgang mit Overexcitabilities
Wenn Du Dich in den Beschreibungen wiedererkennst, hilft vor allem eins: Selbstakzeptanz, Verständnis für Dein So-Sein und herausfinden, wie Du liebevoll mit Dir umgehst.
- Akzeptanz statt Anpassung: Du bist nicht „zu viel“. Du bist Du – intensiv, tief, wach. (Finde ein „Wording“, dies anderen Menschen zu beschreiben, damit sie Dich verstehen können.)
- Selbstfürsorge: Pausen, Me-Time, unverplante Zeiten, bewusste Reizregulation helfen, im Gleichgewicht zu bleiben.
- Austausch: Vernetze Dich mit anderen Vielwahrnehmenden. Du bist nicht allein.
- Kreativer Ausdruck: Schreiben, Malen, Musik, Bewegung – finde Wege, Dein Erleben zu kanalisieren.
- Professionelle Begleitung: Coaches und Therapeut*innen, die sich mit Hochbegabung und Neurodivergenz auskennen, können helfen, Deine Besonderheiten besser einzuordnen und zu nutzen.
Fazit: Deine Intensität ist ein Schatz
Overexcitabilities sind kein Makel – sie sind eine Facette Deiner Persönlichkeit, Deiner Wahrnehmung, Deiner Lebensenergie. Sie machen Dich nicht nur besonders sensibel, sondern auch besonders lebendig.
Ob Du nun hochbegabt, hochsensibel, neurodivergent oder einfach tief fühlend bist – Deine Intensität ist ein Teil Deines wunderbaren So-Seins. Es braucht manchmal neue Wege, diese leicht zu leben. Aber es lohnt sich, sie zu verstehen. Für mehr Klarheit. Mehr Selbstannahme. Mehr Du.
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