Kennst Du das? Dein Kind reagiert auf jedes kleine Geräusch, beschwert sich über kratzende Kleidung und ist nach einem Tag mit anderen Kindern völlig erschöpft? Es weint intensiv bei traurigen Filmen und spürt sofort, wenn Du schlecht gelaunt bist? Dann ist Dein Kind möglicherweise hochsensibel.
Als hochsensible Person und durch meine langjährige Arbeit mit hochsensiblen Kindern und Erwachsenen liegt mir das Thema Hochsensibilität besonders am Herzen. Zu oft werden diese besonderen Kinder missverstanden oder als ‚zu empfindlich‘ abgestempelt.
Hochsensible Kinder nehmen die Welt intensiver wahr als andere. Das ist keine Schwäche oder ein Problem, das „behoben“ werden muss – es ist eine besondere Art der Wahrnehmung, die verstanden werden möchte.
Checkliste: Erkennungsmerkmale für Hochsensibilität
Hier sind die wichtigsten Anzeichen, an denen Du eine mögliche Hochsensibilität bei Deinem Kind erkennen kannst:
Hohe Empfindsamkeit (Sinneseindrücke aller Art)
Akustische Empfindlichkeit:
- Reagiert stark auf Geräusche, die andere kaum bemerken
- Starke Reaktionen auf bestimmte Geräusche (Staubsauger, Händetrockner, Sirenen)
- Beschwert sich über „zu laute“ Umgebungen
- Hält sich die Ohren zu bei normalen Alltagsgeräuschen
Visuelle Empfindlichkeit:
- Reagiert empfindlich auf helles Licht oder grelle Farben
- Blinzelt häufig oder kneift die Augen zusammen
- Bevorzugt gedämpftes Licht
- Wird schnell müde von visuellen Reizen
Taktile Empfindlichkeit:
- Beschwert sich über kratzende oder einengende Kleidung
- Probleme mit Etiketten in Kleidung oder bestimmten Materialien
- Reagiert stark auf verschiedene Texturen
- Möchte bestimmte Stoffe nicht berühren
Geschmack und Geruch:
- Reagiert empfindlich auf Konsistenz und Temperatur von Speisen und Getränken
- Starke Reaktionen auf bestimmte Gerüche
- Sehr wählerisch beim Essen
- Riecht Dinge, die andere nicht wahrnehmen
Hohe Feinfühligkeit und Empathie
Emotionale Intensität:
- Empfindet Emotionen stärker als andere Kinder
- Weint intensiv bei traurigen Filmen oder Geschichten
- Lange anhaltende emotionale Reaktionen
- Fühlt oder spürt scheinbar mehr als andere
Mitfühlende Wahrnehmung:
- Nimmt die Emotionen anderer Menschen intensiv wahr
- Starke Empathie auch mit Tieren oder fiktiven Charakteren
- Reagiert heftig auf Ungerechtigkeit, auch wenn andere betroffen sind
- Leidet mit, wenn andere leiden
Soziale Sensibilität:
- Zu viele andere Kinder oder Menschen überfordern schnell
- Merkt sofort, wenn die Stimmung in einem Raum „nicht stimmt“
- Reagiert stark auf zwischenmenschliche Spannungen
- Spürt unausgesprochene Konflikte

Vermeintliche Zurückhaltung
Beobachtungsverhalten:
- Beobachtet aufmerksam, bevor es handelt
- Reflektiert sehr gut über Situationen
- Achtet auch auf die kleinen Details, die andere übersehen
- Analysiert erst Situationen, bevor es sich einbringt
Kommunikationsstil:
- Bevorzugt tiefere Einzelgespräche statt oberflächlicher Gruppenunterhaltungen
- Braucht Zeit, um sich zu öffnen
- Denkt lange über Antworten nach
- Stellt durchdachte, tiefgehende Fragen
Weitere wichtige Merkmale
Körperliche Reaktionen:
- Feineres Schmerzempfinden als andere Kinder
- Körperliche Symptome bei Stress (Bauchschmerzen, Kopfschmerzen)
- Reagiert stark auf Wetterveränderungen
- Wird schnell müde von zu vielen Eindrücken
Schlaf und Erholung:
- Schwierigkeiten beim Einschlafen wegen zu vieler Gedanken
- Intensive Träume oder häufige Albträume
- Braucht mehr Pausen zur Erholung von Reizen
- Benötigt Rückzugsorte und Ruhezeiten
Veränderungen und Struktur:
- Braucht Routinen und reagiert stark auf unangekündigte Veränderungen
- Intensive Reaktionen auf Kritik, auch wenn sie konstruktiv gemeint ist
- Neigt in manchen Situationen zu „Drama“ (meist Zeichen von Überforderung!)
- Bevorzugt vertraute Umgebungen und Personen
Hochsensibilität und Hochbegabung – eine häufige Kombination
Was viele Eltern nicht wissen: Hochsensibilität und Hochbegabung treten oft gemeinsam auf. Wenn Du Dich auch über das Thema Hochbegabung und die möglichen Anzeichen bei Deinem Kind informieren möchtest, findest Du hier alle wichtigen Informationen:
Hier findest Du den passenden Artikel: Ist mein Kind hochbegabt? Checkliste und Anzeichen
Diese Kombination macht Kinder zu ganz besonderen Persönlichkeiten: Sie denken nicht nur schneller und komplexer, sondern nehmen auch alles intensiver wahr. Das kann bereichernd, aber auch überfordernd sein – auch für die Eltern!
Was passiert, wenn Hochsensibilität nicht erkannt wird?
Wird die Hochsensibilität eines Kindes nicht erkannt, kann das schwerwiegende Folgen haben. Diese Kinder werden oft als „zu empfindlich“, „schwierig“ oder „überempfindlich“ abgestempelt. Sie lernen, ihre natürliche Art der Wahrnehmung zu unterdrücken oder sich dafür zu schämen.
In der Schule können hochsensible Kinder unter Reizüberflutung leiden, was zu Konzentrationsproblemen, Müdigkeit oder sogar körperlichen Beschwerden führen kann. Sie ziehen sich möglicherweise zurück, werden als schüchtern oder ungesellig wahrgenommen, obwohl sie einfach nur überstimuliert sind. In extremen Fällen kann die ständige Reizüberflutung sogar zur Schulverweigerung führen.
Ohne Verständnis für ihre Hochsensibilität entwickeln diese Kinder oft das Gefühl, „falsch“ zu sein. Sie können Ängste entwickeln, Selbstzweifel bekommen oder versuchen, sich anzupassen, indem sie ihre Sensibilität überspielen – was zu emotionaler Erschöpfung führt.

Wie Du Dein hochsensibles Kind unterstützen kannst
Die Erkenntnis, dass Dein Kind hochsensibel ist, ist der erste Schritt zu einem besseren Verständnis. Hier sind meine bewährtesten Strategien für den Alltag mit hochsensiblen Kindern:
Verstehen und individuell unterstützen
- Herausfinden, wie das eigene Kind tickt und wie es gut damit zurecht kommt – jedes hochsensible Kind ist einzigartig
- Das Kind bei der Beobachtung seiner eigenen Reaktionen unterstützen: „Wann fühlst Du Dich überfordert?“
- Gemeinsam mit dem Kind seine „Warnsignale“ für Überstimulation identifizieren
Den Alltag anpassen
- Alltag nicht zu voll packen – weniger ist oft mehr bei hochsensiblen Kindern
- Pausen für Ruhe und Erholung einplanen – diese sind genauso wichtig wie Aktivitäten
- Das Zuhause reizarm gestalten – ein ruhiger Rückzugsort ist goldwert
- Übergänge zwischen Aktivitäten bewusst sanfter gestalten
- Bei Terminen und Verabredungen immer Pufferzeiten einplanen
Stärkung und Bindung
- Dem Kind stärkende Tools vermitteln (Du zuerst!) – Du kannst nur geben, was Du selbst praktizierst
- Bindung vor Weisung – die Beziehung steht immer an erster Stelle
- Abgrenzung leben und lehren – zeige Deinem Kind, wie es „Nein“ sagen kann
- Dem Kind helfen, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren
- Selbstmitgefühl vorleben: „Es ist okay, wenn ich/Du heute müde bin/bist“
Struktur und Kommunikation
- Rituale und Strukturen etablieren – sie geben hochsensiblen Kindern Sicherheit
- Anstatt: „Was ist los?“ lieber „Wann hast Du das letzte Mal etwas gegessen?“ – konkrete, lösungsorientierte Fragen stellen
- Veränderungen im Voraus ankündigen: „Morgen wird es etwas anders…“
- Bei Überforderung: „Brauchst Du eine Pause?“ statt „Stell Dich nicht so an“
Selbstreflexion als Eltern
- Bewusstsein darüber, dass sich Dein Kind Deinem seelischen Zustand anpasst! – hochsensible Kinder sind emotionale Seismographen
- Regelmäßige Selbstfürsorge praktizieren – ein entspanntes Elternteil = ein entspannteres Kind
- Offen kommunizieren: „Mama/Papa ist heute gestresst, das liegt nicht an Dir.“
Dein hochsensibles Kind ist ein Geschenk
Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Schwäche – es ist eine besondere Gabe. Hochsensible Kinder sind oft sehr kreativ, einfühlsam und haben eine tiefe Verbindung zur Welt um sie herum. Sie nehmen Schönheit intensiver wahr, haben oft eine reiche Fantasie und können tiefe, bedeutungsvolle Beziehungen aufbauen.
Wenn Du Dein hochsensibles Kind verstehst und unterstützt, hilfst Du ihm dabei, seine Sensibilität als Stärke zu sehen. Diese Kinder können lernen, mit ihrer intensiven Wahrnehmung umzugehen und sie als wertvolles Geschenk zu nutzen.
Vertraue Deinem Gefühl. Du kennst Dein Kind am besten. Wenn Du spürst, dass es die Welt anders und intensiver wahrnimmt, dann ist das wahrscheinlich so. Dein Verständnis und Deine Unterstützung machen den entscheidenden Unterschied.
Du möchtest mehr erfahren?
Könnte Dein Kind sowohl hochsensibel als auch hochbegabt sein?
Lies hier: Ist mein Kind hochbegabt? Checkliste und Anzeichen
Wenn Du den Eindruck hast ebenfalls hochsensibel zu sein, und Du lernen möchtest mit Deinem wunderbaren So-Sein entspannt umzugehen, dann lass uns darüber sprechen.
Ich freue mich darauf Dich oder Dein Kind kennenzulernen und ein Stück weit zu begleiten!