Ein stilles Muster, das ich in der Begleitung hochbegabter Familien immer wieder beobachte
„Können Sie bitte nochmal nachrechnen?“
Diese Frage höre ich regelmäßig in meiner Arbeit mit hochbegabten Kindern. Nachdem ich eine Hochbegabung beim Kind festgestellt habe, bitten mich Eltern – und ganz besonders oft die Mütter – nochmal zu prüfen, ob das denn alles so stimmt. Ihr Kind sei doch normal, eine Hochbegabung kann doch eigentlich nicht sein.
Und dann kommt meistens der Nachsatz: „Das hat mein Kind eindeutig vom Vater.“
Ich sitze da, schaue die Mutter an und denke: Du siehst nicht, was ich sehe.
Was dann folgt, ist eine ganze Kaskade von Gründen, warum SIE auf keinen Fall hochbegabt sein kann. „Ich war nicht gut in der Schule.“ „Ich habe im Gegensatz zu meinem Mann gar keinen ‚wichtigen‘ Job.“ „Ich? Nein, auf keinen Fall. Das würde ich doch merken.“ „Hochbegabte Menschen haben doch keine Probleme mit Organisation. Bei mir ist immer Chaos.“
Die Liste ist vielseitig und sehr lang. Und während die Mutter all diese Argumente aufzählt, sitzt daneben ein Kind, das genau beobachtet: Meine Mutter will nicht sein, was ich bin.

Das unausgesprochene Signal
Kinder sind die besten Beobachter der Welt. Sie spüren, was wir nicht aussprechen. Sie lesen zwischen den Zeilen unserer Gesten, unseres Tons, unserer Körperhaltung.
Wenn eine Mutter ihre eigene mögliche Hochbegabung vehement von sich weist, sendet sie eine Botschaft, auch wenn sie das nie beabsichtigt. Die Botschaft lautet: „Etwas an dieser Hochbegabung ist so bedrohlich, dass ich mich nicht einmal damit beschäftigen möchte.“
Das Kind empfängt dieses Signal laut und klar. Und dann beginnt oft ein stiller Rückzug. Das Kind fängt an, sich anzupassen. Macht sich kleiner. Versteckt seine Fähigkeiten. Entwickelt Probleme in der Schule, im sozialen Kontakt, mit den eigenen Emotionen. Nicht weil es böswillig ist. Sondern weil es intuitiv spürt: Wenn selbst Mama nicht hochbegabt sein will, wie soll ICH dann damit klarkommen?
„Ich bin doch nur hochsensibel“
Ein Muster, das mir besonders häufig begegnet: Frauen, die sich selbst als hochsensibel identifizieren, aber eine Hochbegabung kategorisch ausschließen.
Hochbegabte Frauen sind tatsächlich oft emotional und sensorisch sehr empfindsam. Sie nehmen Stimmungen, Zwischentöne und Umwelteinflüsse intensiv wahr. Und dann lesen sie irgendwo über Hochsensibilität und denken: „Ja! Das bin ich. Deshalb fühle ich mich so anders.“
Die Hochbegabung? Die wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Über viele Jahre ging es mir übrigens genauso. Ich konnte anerkennen, dass ich vielbegabt und hochsensibel sei – aber niemals hochbegabt.

Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Viele hochbegabte Frauen sind auch hochsensibel. Aber nicht alle hochsensiblen Menschen sind hochbegabt. Der entscheidende Unterschied liegt in der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Problemlösungskompetenz und der Art, wie das Gehirn Zusammenhänge herstellt.
Hochbegabte Frauen können blitzschnell komplexe Verbindungen erkennen. Sie haben exzellente Organisations-Skills, auch wenn es bei ihnen selbst manchmal chaotisch aussieht. Sie holen mit weniger Zeit viel mehr aus ihrem Tag raus. Und sie besitzen eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe.
Aber weil sie kein „Tieftaucher-Spezialgebiet“ haben, kein Thema, in dem sie ein menschliches „Google auf zwei Beinen“ sind, erkennen sie ihre Hochbegabung nicht. Sie sind keine Spezialisten in einem Gebiet, sondern Generalisten mit einem unglaublich breiten Spektrum an Interessen und Fähigkeiten.
Und genau deshalb kommen sie nie auf die Idee, dass sie selbst hochbegabt sein könnten. Sie fallen doch nicht auf. Sie haben gelernt, sich anzupassen. Jahrelang, jahrzehntelang. Sie funktionieren. Sie kriegen alles hin. Hochbegabte Menschen haben doch Probleme, oder?
Das Auge des Betrachters
In den letzten Jahren durfte ich viele Familien begleiten. Und immer wieder beobachte ich: Die größten Veränderungen bei den Kindern geschehen nicht durch neue Förderprogramme oder Schulwechsel. Sie geschehen, wenn die Mütter (oder allgemein Eltern) ebenfalls den Test machen und schwarz auf weiß sehen, was sie niemals für möglich gehalten hätten. Wenn sie beginnen, ihre eigene Hochbegabung anzunehmen. Wenn sie ihre Superpower erforschen und sich innerlich verändern.
Dann verändert sich das Familiensystem. Die Kinder atmen auf. Sie müssen sich nicht mehr verstecken, weil Mama es auch nicht mehr tut.
Es gibt einen Satz aus einer meiner Ausbildungen, der mich seitdem nicht mehr losgelassen hat: „Das Betrachtete ändert sich durch das Auge des Betrachters.“
Oft sind die Ursachen für die Themen der Kinder ihre Eltern. Nicht, weil Eltern etwas falsch machen oder schuld wären. Sondern weil Kinder Systeme widerspiegeln. Sie tragen die ungelösten Themen ihrer Eltern. Sie zeigen uns, wo etwas im Ungleichgewicht ist. Wo etwas nicht angeschaut werden will.
Wenn Du Deine eigene Hochbegabung verleugnest, wenn Du sie versteckst, kleinmachst, nicht wahrhaben willst, dann zeigt Dein Kind genau dieses Thema. Es spiegelt Deine Verleugnung. Es wird zum Symptomträger für das, was Du nicht anschauen möchtest.
Aber sobald Du Dein eigenes Thema löst, sobald Du Deine Hochbegabung annimmst, sie als Teil von Dir akzeptierst, kann sich etwas beim Kind lösen und verändern. Nicht weil Du jetzt anders mit dem Kind umgehst. Sondern weil das Kind nicht mehr Dein ungelöstes Thema tragen muss.
Dein nächster Schritt
Wenn Dein Kind hochbegabt ist und…
…Du bemerkst, wie Du jedes Mal abwinkst, wenn jemand Deine eigene Intelligenz erwähnt – oder
…Du Dich dabei ertappst, wie Du reflexartig sagst „Das hat es vom Vater“ – oder
…Du spürst, wie sich etwas in Dir zusammenzieht, sobald Du nur daran denkst, einen Test zu machen
…dann lade ich Dich ein, aus Deinem sicheren Versteck hervorzukommen.
Du musst Dich nicht testen lassen. Es ist völlig in Ordnung, wenn Du Deine Begabung einfach nur spürst und Dich in Deinem wunderbaren So-Sein akzeptierst. Trau Dich, darüber zu sprechen. Umgib Dich vor allem mit Menschen, die im gleichen Teich mitschwimmen.
Aber wenn Du es doch brauchst, und die meisten Frauen, die an diesem Punkt stehen, brauchen es, dann hol Dir Klarheit. Schwarz auf weiß.
Du bist nicht allein. In jeder einzelnen Woche begleite ich mindestens eine Frau, die die gleichen Zweifel und Bedenken hegt wie Du auch. Frauen, die sich fragen: „Kann das wirklich sein?“ Frauen, die Angst haben vor dem Ergebnis. Frauen, die sich nicht trauen, diesen Schritt zu gehen.
Ich begleite Dich empathisch durch diesen Prozess. Wir können gerne vorher miteinander sprechen – komplett unverbindlich, ohne Druck. Einfach, damit Du weißt, wie so ein Test abläuft. Damit Du Deine Fragen stellen kannst. Damit Du spürst: Das ist ein sicherer Raum für Dich.
Und dann beginnt die eigentliche Reise. Die Reise in die Selbstakzeptanz. In das Erforschen Deiner Superpower. In das Leben als die Frau, die Du wirklich bist.
Nicht nur für Dich. Auch für Dein Kind.
Das Betrachtete ändert sich durch das Auge des Betrachters. Fang bei Dir an. ❤️
P.S.: Liebe Väter, ich sehe euch. Auch wenn dieser Text hauptsächlich von Müttern spricht – alles, was hier steht, gilt genauso für euch. Eure Kinder beobachten auch euch. Auch ihr dürft eure Hochbegabung anerkennen. Auch ihr dürft euch testen lassen. Der sichere Raum ist auch für euch da.“




