Mit wem spreche ich über die Hochbegabung meines Kindes?

Die Diagnose liegt auf dem Tisch. Dein Kind ist hochbegabt. Vielleicht fühlst du dich erleichtert, weil endlich vieles einen Namen hat. Vielleicht bist du auch verunsichert, weil du nicht weißt, was das jetzt bedeutet. Und dann kommt diese Frage, die viele Eltern mir in meiner Praxis stellen: Mit wem rede ich jetzt eigentlich darüber?

Diese Unsicherheit ist völlig normal. Denn anders als bei anderen Themen gibt es hier kein gesellschaftliches Drehbuch. Niemand fragt sich, ob man erzählen darf, dass das Kind Fußball spielt oder gerne malt. Aber Hochbegabung? Da schwingt plötzlich so viel mit: die Angst, als Angeber-Eltern dazustehen, die Sorge, dem Kind zu schaden, die Unsicherheit, auf Unverständnis zu stoßen.

Lass mich dir eine Orientierung geben – nicht als starre Regel, sondern als Kompass für deine eigenen Entscheidungen.

Warum diese Frage so wichtig ist

Es geht um zwei Dinge, die sich manchmal widersprechen: Schutz und Offenheit.

Dein Kind braucht Menschen, die es verstehen. Die wissen, warum es manche Dinge anders macht, anders denkt, anders fühlt. Gleichzeitig braucht es Schutz vor Vorurteilen, falschen Erwartungen und dem Gefühl, immer „der/die Hochbegabte“ zu sein.

Du als Elternteil brauchst ebenfalls beides: einen Raum, in dem du offen über Herausforderungen sprechen kannst, ohne dich rechtfertigen zu müssen. Und gleichzeitig die Freiheit, nicht mit jedem über dieses Thema sprechen zu müssen.

Die Kunst liegt darin, die richtigen Menschen zu finden und den richtigen Zeitpunkt.

Mit wem du unbedingt sprechen solltest

Fachleute, die sich auskennen

Das sind deine wichtigsten Verbündeten. Menschen, die täglich mit Hochbegabung arbeiten und die Bandbreite kennen – von den Glücksmomenten bis zu den Stolpersteinen.

  • Begabungsdiagnostiker und spezialisierte Psychologen: Sie können dir helfen, die Testergebnisse einzuordnen und konkrete Schritte zu entwickeln.
  • Coaches für Hochbegabung und Beratungsstellen: Hier geht es um die Alltagsfragen. Wie organisiere ich Förderung, wie gehe ich mit Unterforderung um, wie stärke ich mein Kind?

Diese Gespräche sind dein sicherer Hafen. Hier musst du nichts erklären oder rechtfertigen.

Mit Fachleuten über Hochbegabung des Kindes sprechen.
Andere Eltern hochbegabter Kinder

Der Austausch mit anderen Eltern ist Gold wert. Nicht, weil Hochbegabung alle Kinder gleich macht, ganz im Gegenteil. Aber weil diese Eltern verstehen, was du meinst, wenn du von bestimmten Situationen erzählst.

Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) bieten Elterngruppen an. Dort kannst du dich austauschen, ohne ständig in die Erklärungs-Schleife zu geraten. Und du merkst: Du bist nicht allein.

Dein Kind selbst

Ja, auch dein Kind sollte wissen, dass es hochbegabt ist, natürlich altersgerecht erklärt. Kinder spüren ohnehin, dass sie „anders“ sind. Hochbegabung gibt ihnen eine Erklärung dafür, ohne dass sie sich falsch fühlen müssen.

Es geht nicht darum, dem Kind ein Label aufzudrücken, sondern ihm zu helfen, sich selbst besser zu verstehen. Ich sage gerne Sätze wie: „Du hast eine andere Serienausstattung als andere Kinder.“ oder „Du denkst viel schneller und komplexer als andere Kinder in deinem Alter.“ Solche Sätze können enorm entlastend sein.

Lehrkräfte – ja, aber mit Strategie

Hier wird es spannend. Ja, Lehrkräfte sollten definitiv Bescheid wissen. Sie verbringen täglich viele Stunden mit deinem Kind und sollten verstehen, was in ihm vorgeht.

Aber: Wie du es sagst und wann du es sagst, macht den entscheidenden Unterschied.

Warum manche Lehrkräfte zurückhaltend reagieren

Nicht alle Lehrkräfte sind auf das Thema Hochbegabung vorbereitet. Manche haben Vorurteile („Die schaffen das schon alleine. Sie sind ja intelligent.“), andere fühlen sich durch das Gespräch unter Druck gesetzt oder bevormundet. Wieder andere haben schlicht keine Zeit oder Ressourcen für individuelle Förderung.

Das ist keine böse Absicht, aber es ist Realität, auf die du vorbereitet sein solltest.

Deine Strategie für das Gespräch

1. Erst Beziehung aufbauen Stürze nicht beim ersten Elternabend mit der Diagnose herein. Lerne die Lehrkraft erst kennen. Wie geht sie mit Unterschiedlichkeit um? Ist sie offen für Gespräche? Warte auf einen ruhigen Moment für ein Einzelgespräch.

2. Lösungsorientiert formulieren Statt: „Mein Kind ist hochbegabt und braucht jetzt Extra-Förderung.“ Besser: „Wir haben eine Diagnostik machen lassen und würden gerne gemeinsam schauen, wie wir [Name] als Team aus Eltern und Lehrer gut begleiten können. Was beobachten Sie im Unterricht?“

3. Die Diagnostik als Grundlage mitbringen Ein schriftliches Gutachten nimmt dem Gespräch die „subjektive Elternmeinung“-Ebene. Es zeigt: Das ist fachlich festgestellt, nicht nur eine Vermutung.

4. Konkret werden Was brauchst du von der Lehrkraft? Verständnis dafür, dass dein Kind sich manchmal langweilt? Erlaubnis, eigene Aufgaben zu bearbeiten? Einen offenen Austausch über Auffälligkeiten?

5. Mit Widerstand rechnen Wenn die Reaktion abweisend ist („Alle Eltern denken, ihr Kind ist besonders.“), bleib ruhig. Du musst dich nicht rechtfertigen. Außerdem hast Du einen schriftlichen Bericht von einem Begabungsdiagnostiker dabei! Du informierst. Wenn die Zusammenarbeit nicht klappt, kannst du immer noch andere Wege gehen: Schulwechsel, externe Förderung, Gespräch mit der Schulleitung.

Bei wem Vorsicht geboten ist

Familie und enge Freunde

Das ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Großeltern, Tanten oder Freunde reagieren wunderbar unterstützend. Andere nicht.

Typische problematische Reaktionen:

  • „Ach, jedes Kind ist doch irgendwie besonders!“
  • „Ihr solltet das Kind nicht so unter Druck setzen.“
  • „Früher gab es das auch nicht, die Kinder mussten einfach funktionieren.“
  • Oder subtiler: Neid, Konkurrenzdenken, ständige ungefragte Ratschläge.

Mein Tipp: Taste dich langsam ran. Du musst nicht sofort allen alles erzählen. Beobachte, wer wirklich interessiert ist und wer nur aus Höflichkeit fragt. Und sei bereit, manche Diskussionen einfach nicht zu führen.

Social Media und Öffentlichkeit

„Mein Kind ist hochbegabt!“ – Solche Posts können nach hinten losgehen. Nicht nur wegen der Reaktionen anderer, sondern vor allem, weil dein Kind später selbst entscheiden sollte, wer davon weiß.

Hochbegabung ist Teil der Persönlichkeit deines Kindes, aber nicht seine gesamte Identität. Wenn es später googelt und findet detaillierte Posts über seine Diagnose, kann das unangenehm sein.

Hochbegabung des Kindes auf Social Media teilen.
Beiläufige Bekannte

Auf dem Spielplatz, beim Elternstammtisch, in der Kita-WhatsApp-Gruppe. Diese Orte sind selten der richtige Ort für dieses Gespräch. Zu viele Meinungen, zu wenig echtes Verständnis, zu großes Potenzial für Missverständnisse.

Du musst dich nicht rechtfertigen

Das ist vielleicht der wichtigste Satz in diesem ganzen Text: Du musst dich nicht rechtfertigen.

Hochbegabung ist keine Krankheit, die man verstecken muss. Aber sie ist auch keine Medaille, die man herumzeigt. Sie ist einfach eine Eigenschaft deines Kindes wie Linkshändigkeit oder musikalisches Talent.

Du schuldest niemandem eine Erklärung. Du darfst wählen, mit wem du sprichst. Und du darfst Gespräche auch beenden, wenn sie nicht gut tun.

Der offene und positive Umgang fängt bei dir an

Was ich in meiner Arbeit immer wieder erlebe: Wenn Eltern selbst entspannt und positiv mit der Hochbegabung ihres Kindes umgehen, strahlt das aus.

Natürlich gibt es Herausforderungen. Natürlich ist nicht alles einfach. Aber Hochbegabung ist keine Last, die man tragen muss. Sie ist ein Teil dessen, was dein Kind ausmacht. Mit allen Facetten.

Je klarer du für dich bist, desto weniger wirst du von den Reaktionen anderer aus der Bahn geworfen. Und desto besser kannst du dein Kind begleiten.

Zum Schluss: Es ist ein Lernprozess

Du musst nicht heute alle Antworten haben. Du wirst mit der Zeit ein Gefühl dafür entwickeln, wem du vertraust und wem nicht. Du wirst lernen, Gespräche zu führen, ohne dich zu rechtfertigen. Und du wirst merken: Es gibt mehr Menschen, die unterstützen wollen, als du vielleicht am Anfang denkst.

Der erste Schritt ist gemacht: Du informierst dich. Du suchst nach Orientierung. Du willst das Beste für dein Kind. Und genau das macht dich zu genau der Mama oder dem Papa, den dein Kind braucht.

Wenn du Unterstützung suchst, sei es beim Gespräch mit der Schule, bei der Suche nach Förderung oder einfach beim Sortieren deiner Gedanken, dann hol sie dir. Dafür sind wir Coaches und Berater da.

Alles Gute auf eurem Weg!

Brauchst du Unterstützung? Vereinbare jetzt ein unverbindliches Kennenlerngespräch. Ich freu mich auf dich!

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