Der Begriff „Twice exceptional“ ist vielen sicher nicht geläufig. Häufig wird Twice exceptional übersehen, genauer gesagt fehldiagnostiziert: Die Tatsache, dass ein Mensch eine besondere Begabung hat und gleichzeitig eine Beeinträchtigung, wird oft nicht verstanden. Häufig erfolgt auf dieses Thema eine defizitorientierte Sicht statt einer potenzialorientierten. Die neurologische Vielfalt aller Menschen birgt nämlich ein riesiges Potenzial, vorwiegend für Unternehmen. In diesem Artikel erkläre ich, was Twice exceptional eigentlich bedeutet, wie man es erkennt und welche Vorteile neurodivers Teams für Unternehmen haben.
Der Begriff „Twice exceptional“, abgekürzt 2e, wurde Mitte der 90er-Jahre in die Lexika für Pädagogen aufgenommen und bedeutet übersetzt „mehrfach außergewöhnlich“. Er bezeichnet Menschen mit einer oder auch mehreren Begabungen sowie zusätzlich einer emotionalen, physischen, sensorischen oder psychischen Entwicklungsbeeinträchtigung oder Lern- und Leistungsgeschwindigkeit. Was bedeutet das im Konkreten? Menschen mit Begabungen sind beispielsweise Hochbegabte, Vielbegabte oder auch Hochsensible. Beeinträchtigungen hingehen können Diagnosen wie ADHS, Autismus, Lese- und Rechtschreibschwäche oder Tourette-Syndrom sein.
Das Besondere an 2e-Menschen ist, dass ihre außergewöhnliche Begabung durch ihre Beeinträchtigung weniger hervortreten kann. Sie sind also wie andere Begabte in mindestens einem Bereich sehr sachkundig und talentiert, können aufgrund ihres Defizits diese Stärke aber nicht so deutlich zeigen. Deswegen bräuchten 2e-Kinder gezielte sonderpädagogische Betreuung, um ihnen von Anfang an die Unterstützung zu geben, die sie benötigen. Twice exceptional wird allerdings oft wird übersehen und teilweise ein ganzes Leben lang nie identifiziert.
Twice exceptional: Checkliste
Eine Diagnose ist sehr schwierig, da die Stärke das Defizit ausgleicht und das Defizit die Stärke unterdrückt. Begabung und Beeinträchtigung sind oft völlig gegensätzlich.
Welche typischen Merkmale ein 2e-Mensch hat, hängt davon ab, welche Doppeldiagnose vorliegt. Zudem ist es schwierig, zwei Kategorien wie „Stärken“ und „Schwächen“ mit eindeutig abgrenzbaren Merkmalen aufzuführen. Beispielsweise ist das Merkmal „Aktiv und unruhig“ der Hochbegabung (Begabung) sowie dem ADHS (Beeinträchtigung) zuzuschreiben. (Quelle: James T. Webb et al., Doppeldiagnosen und Fehldiagnosen bei Hochbegabung, Ein Ratgeber für Fachpersonen und Betroffene, 2. Überarbeitete Auflage)
Um dennoch einen Anhaltspunkt für die Identifizierung von Twice exceptional zu haben, kann diese Liste mit Merkmalen hilfreich sein: https://www.bigmindsunschool.org/resources-2/2e-characteristics/
Bei Verdacht von 2e sollte man immer psychologischen Rat aufsuchen. Wichtig ist hierbei jemanden zu finden, der sich gut mit Hochbegabung und Doppeldiagnosen auskennt. Wie oben bereits erwähnt, überschneiden sich Symptome oft. Für eine sichere Diagnose ist ein Experte auf diesem Gebiet unerlässlich, denn er kennt die richtigen Fragen und kann dadurch 2e gezielt identifizieren.
Warum ist eine Diagnose überhaupt wichtig? Vordergründig hilft es Betroffenen, ihren Platz zu finden, primär in ihrem Berufsleben. Durch ein tieferes Verständnis zu sich selbst und mit professioneller Unterstützung ist es für 2e-Menschen einfacher, offen und transparent über ihre besondere Situation mit ihrem Arbeitgeber zu sprechen.
Neurodiversität und Hochbegabung in Unternehmen
Wie gehen Arbeitgeber mit hochbegabten und neurodiversen Mitarbeitern um? Die Wahrheit ist, dass sich die meisten Hochbegabten in ihrem Job gar nicht outen, sondern anecken und grundsätzlich nicht verstanden werden. Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter aufmerksam beobachten und mehr Wissen zu diesem Thema aneignen, um zu lernen, wie man mit Menschen umgeht, die um die Ecke denken, extrem schnell und intelligent sind. Wie sollte man auf Mitarbeiter reagieren, die ständig nach neuer Arbeit fragen, weil ihnen die Aufgaben zu wenig oder zu anspruchslos sind. Hochbegabte hassen Routinetätigkeiten, sehen Lösungen, bevor Kollegen das Problem kennen, wollen oft Großes bewegen und sich nicht in alltäglichen Aufgaben verlieren. Ein Arbeitgeber kann auf so vielen Ebenen davon profitieren, wenn ihm bewusst ist, wie er diese Ressource für sich nutzen kann. Das Ziel ist, ein Verständnis für hochbegabte und neurodiverse Menschen zu schaffen, sodass alle voneinander profitieren und gemeinsam wachsen.
Der Begriff Diversität bezieht sich in unserer heutigen Zeit oft auf Merkmale wie Alter, Nationalität, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und so weiter – Neurodiversität wird dabei oft nicht berücksichtigt, obwohl es ein Gewinn für jedes Unternehmen ist.
Definition Neurodiversität
Was ist eigentlich Neurodiversität? Der Begriff bezeichnet neurologische Vielfalt und zeigt sich in unterschiedlichen Bereichen der Persönlichkeit:
- Lernen
- Denkweise
- Motorik
- Struktur
- Interaktion
- Sprache
- Wahrnehmung
Neurodiversität ist der Überbegriff für das breite Spektrum von unterschiedlichen neurologischen Entwicklungen wie Autismus, ADHS und Dyslexie. Jedoch werden Menschen, die medizinisch und psychologisch der Norm entsprechen als „neurotypisch“ bezeichnet
Welche Vorteile haben neurodiverse Teams
Neurodiverse Teams haben vor allem eine höhere kollektive Intelligenz, können sich besser auf Herausforderungen einstellen, arbeiten effektiver und sind in der Lage können qualitativere Entscheidungen zu treffen. Das liegt vor allem auch daran, dass Anpassungen in der Zusammenarbeit mit neurodivergenten Menschen für neurotypische Arbeitnehmer ebenfalls von großem Vorteil sind: reizarme Arbeitsumgebung, transparente Abläufe, klar strukturierte Kommunikation.
Neurodivergente Menschen haben aber nicht nur „besondere Bedürfnisse“, sondern bringen oft außergewöhnliche Stärken mit:
- hohe intrinsische Motivation für Aufgaben, die ihrem Interesse entsprechen
- können in einer kurzen Zeit viel Wissen erwerben
- nehmen neue Perspektiven ein
Wie divers sind Unternehmen wirklich?
Menschen mit besonderen Begabungen werden zu oft als Bedrohung angesehen: Hochbegabte stellen hohe Anforderungen an ihren Job, weil er sie fordern und beflügeln soll. Hochsensible gelten als sensibel und zart besaitet. Umfragen haben ergeben, dass Menschen mit einer Hochbegabung eher nicht mit ihrem Arbeitgeber über die eigene Hochbegabung sprechen möchten, weil sie Angst haben, nicht verstanden zu werden oder überzogene Erwartungen an sie gestellt werden. Schubladendenken zeigt sich vor allem in Sätzen wie „Warum weißt du das nicht, du bist doch hochbegabt.“ oder „Warum benötigst du so lange, du bist doch hochbegabt.“ Dabei überlegt ein Hochbegabter vielleicht länger und durchdenkt alle Details, um nichts zu übersehen. Aufgaben werden sauber und möglichst fehlerfrei abgeschlossen – eigentlich der Wunsch eines jeden Arbeitgebers.
Dabei bereichern Menschen mit besonderen Begabungen ein Unternehmen auf so vielen Ebenen. Dennoch sind viele Prozesse in Unternehmen eher für neurotypische Menschen ausgelegt. Nach außen hin leben die Unternehmen Diversität, denken dieses Thema allerdings eher eindimensional. Denn Diversität ist nicht nur Nationalität, Geschlecht oder sexuelle Ausrichtung. Sondern eben auch neurodiverse Menschen.