Erwartungen loslassen: Warum das so befreiend ist

Die unsichtbare Falle: Wie Erwartungen uns von anderen abhängig machen 

Kürzlich bin ich bei Michael Bohne auf einen Gedanken gestoßen, der mich seitdem freudvoll beschäftigt (freudvoll, weil ich ihn entdeckt habe): Wenn wir Erwartungen an andere Menschen haben, legen wir ein Ziel fest, das ein anderer erfüllen muss. Damit machen wir uns abhängig davon, ob dieser Mensch etwas tut oder nicht.

Es geht dabei nicht darum, ob unsere Erwartungen inhaltlich gerechtfertigt sind oder nicht. Es geht um die Beziehungsebene. Auf dieser Ebene haben wir anderen Menschen Macht über unsere Gefühle gegeben, weil wir unser Glück an ein Ziel geknüpft haben, das nur sie erfüllen können.

Diese Erkenntnis ist besonders relevant für Menschen, die mit hoher Intensität und Tiefe durchs Leben gehen. Sie denken viel und reflektieren intensiv über Situationen und Beziehungen. Dadurch entstehen oft sehr durchdachte, detaillierte Erwartungsbilder. Je bewusster wir wahrnehmen und je mehr wir durchdenken, desto präziser werden oft auch unsere Erwartungen.

Warum Hochbegabte besonders in die Erwartungsfalle tappen

Hochbegabte Menschen haben oft eine andere interne Bewertungsskala. Sie stellen sehr hohe Erwartungen an sich selbst und übertragen diesen Standard immer wieder auch auf ihr Umfeld. Was für sie selbstverständlich ist: Gründlichkeit, Zuverlässigkeit, Tiefe im Denken uvm. erwarten sie oft bewusst oder unbewusst auch von anderen.

Das Problem entsteht, wenn ihnen noch nicht bewusst ist, dass andere Menschen eine ganz andere Bewertungsskala für Leistung, Verhalten und Beziehungsqualität haben. Die Enttäuschung ist dann besonders groß, weil die Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung und der Realität so deutlich wird.

In meinen Coachings sehe ich immer wieder, dass hochbegabte Menschen häufiger enttäuscht werden, weil sie andere sehr differenziert wahrnehmen und dadurch präzisere Erwartungen entwickeln. Sie sehen Potentiale und Möglichkeiten, die andere vielleicht gar nicht erkennen oder anstreben.

Der entscheidende Unterschied: Grenzen vs. Erwartungen

Um aus der Erwartungsfalle herauszufinden, ist es wichtig, zwischen Grenzen und Erwartungen zu unterscheiden:

Grenzen sind Selbstschutz: „Ich akzeptiere respektloses Verhalten nicht.“ – das bezieht sich auf mich und meine Reaktion.

Erwartungen sind Fremdkontrolle: „Du sollst mich respektvoll behandeln.“ – das bezieht sich auf den anderen und sein Verhalten.

Grenzen kann ich selbst durchsetzen, indem ich in mir klar bin und entsprechend kommuniziere und handle. Erwartungen machen mich abhängig von anderen Menschen und ihren Entscheidungen.

Ent-Täuschung als Befreiung verstehen

Wenn eine Erwartung nicht erfüllt wird, werden wir ent-täuscht. Aber was passiert dabei wirklich? Die Täuschung fällt weg und das Wahre bleibt übrig. Ent-Täuschung bedeutet, dass wir die Realität klarer sehen können.

Statt diese Ent-Täuschung als schmerzhaft zu erleben, können wir sie als Befreiung begreifen. Sie zeigt uns:

  • Wie der andere Mensch wirklich ist
  • Wo unsere Projektionen waren
  • Was in der Beziehung tatsächlich möglich ist

Diese Klarheit ist ein Geschenk, auch wenn sie zunächst schmerzhaft sein mag.

Was bedeutet Enttäuschung?

Von Erwartungen zu bewusster Beziehungsgestaltung

Der Weg aus der Erwartungsfalle führt nicht zur Isolation, sondern zu bewusster Beziehungsgestaltung. Hier kommen Metagespräche ins Spiel. (Ich liebe sie!)

Unter Metagesprächen, wie ich sie nenne, verstehe ich, dass man sich mit seinem Gesprächspartner auf der Meta-Ebene trifft und zuvor beschließt, eben auf der Meta-Ebene ein bestimmtes Thema zu erläutern, einen Konsens zu bekommen und eine gemeinsame Basis zu schaffen.

Statt zu erwarten, dass der andere unsere unausgesprochenen Standards teilt, sprechen wir offen darüber:

  • Was ist uns wichtig in der Beziehung?
  • Welche Bedürfnisse haben wir?
  • Wie können wir diese kommunizieren?
  • Wo sind unsere Grenzen?

Metagespräche sind aber allgemein wertvoll, um vom Anderen zu erfahren, was er unter einem bestimmten Gedanken versteht oder wie er über bestimmte Themen denkt.

Ich habe schon außergewöhnlich großartige Gespräche geführt zu den Themen:

  • Was verstehst Du unter Wachstum?
  • Wie gehen wir damit um, wenn einer von uns bemerkt, dass ein Konflikt entsteht?

Meine Einladung ist es, gelingende Beziehungen aktiv zu gestalten, anstatt passiv etwas zu erwarten.

Erwartungen in einer Beziehung.

Praktische Wege zum Loslassen von Erwartungen

Bewusstwerdung: Welche Erwartungen habe ich gerade? Wie fühle ich mich, wenn sie nicht erfüllt werden?

Verantwortung übernehmen: Für meine Gefühle bin ich selbst verantwortlich, nicht der andere.

Realitätscheck: Ist meine Erwartung realistisch? Habe ich sie kommuniziert? Wie? Welche Rückmeldung habe ich erhalten?

Fokus auf das Steuerbare: Was kann ich selbst tun, um meine Bedürfnisse zu erfüllen?

Wertschätzung für das, was ist: Statt zu fokussieren, was fehlt, kann ich sehen, was da ist.

Was wir dennoch „erwarten“ dürfen

Bedeutet das nun, dass wir überhaupt keine Erwartungen haben sollen? Nicht ganz. In gesunden, gelingenden Beziehungen gibt es durchaus berechtigte Erwartungen:

  • Grundrespekt und Ehrlichkeit in Beziehungen
  • Einhalten von expliziten Vereinbarungen, die wir gemeinsam getroffen haben
  • Verlässlichkeit in dem Rahmen, den wir miteinander ausgehandelt haben

Der Schlüssel liegt in der offenen Kommunikation und dem gemeinsamen Gestalten dieser Basis.

Der Weg zu authentischen Beziehungen

Wenn wir unsere Erwartungen loslassen und stattdessen auf bewusste Beziehungsgestaltung setzen, entstehen authentischere Verbindungen. Wir begegnen dem anderen, wie er wirklich ist, nicht wie wir ihn haben wollen.

Das erfordert Mut zur Verletzlichkeit und den Willen, Beziehungen als dynamischen Prozess zu verstehen, der ständige Aufmerksamkeit und Pflege braucht. Wichtig ist auch die Offenheit für aktive Beziehungsgestaltung. Metagespräche führt man nicht ungeübt aus dem Stand. Manchen Menschen gelingt es besser, manche brauchen länger, um sich in diese Form der Kommunikation einzufinden. Das ist völlig normal und Teil des Lernprozesses.

Der Lohn sind Beziehungen, die auf Wahrheit basieren statt auf Projektionen – und die dadurch viel stabiler und erfüllender sind.

Welche Erwartungen darfst du heute loslassen, um einer authentischeren Beziehung Raum zu geben?


Du möchtest lernen, dich gesund abzugrenzen? Falls du dir Unterstützung dabei wünschst, klare und gesunde Grenzen zu entwickeln und authentische Beziehungen zu gestalten, begleite ich dich gerne in meinem Coaching.

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